Letzte Spuren bäuerlichen Lebens

Ab Ende der 1950er Jahre verschwanden die zweigeschossigen bäuerlichen Anwesen an der bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts stark belasteten Hauptstraße und wurden durch kombinierte Geschäfts- und Wohngebäude ersetzt. Den Anfang machten die Sparkassenbauten von 1956 und 1967 in der Hauptstraße 30 und 26. Für sie mussten die Bäckerei Endres und der Bauernhof von Josef Schorr weichen. Der letzte Misthaufen, das letzte intakte Landwirtschaftsanwesen von Johann Fuchsbichler verschwand 1994. Nach dessen Großmutter Maria Wechselberger wurde der neue Marienhofkomplex benannt.

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Kuhherde
Kreutwiesen am Feldweg nach Gröbenzell - im Hintergrund die ehemalige Metallgießerei von Konrad Neger

Nicht nur die alten Bauernhöfe samt ihren Vorgärten und alten Bäumen sowie öffentliche Einrichtungen wie beispielsweise die Postfiliale im ehemaligen Zotz-Anwesen in der Hauptstraße 12 wurden abgerissen. Auch die letzten Nutztiere waren nur noch vereinzelt auf Musterstadts Straßen „unterwegs“. 

Um 1965 trieb der Landwirt Hans-Heinrich Merzdorf seine Kuhherde von seinem Gehöft „Auf der Insel 3“ zu den an der Staatsstraße 2345 zwischen Musterstadt und Gröbenzell gelegenen Kreutwiesen. Sein Weg führte über die damalige Schulstraße – seit 1980 Pfarrer-Handwerker-Straße - am Pfarrhaus vorbei. Weder der Bauer, noch das Vieh noch die festlich gekleideten KirchgängerInnen der fast gleichzeitig stattfindenden Kommunion in der Pfarrkirche St. Peter und Paul nahmen voneinander groß Notiz.  

Zugpferd Liesl
Georg Scheidecker und Liesl in der Jahnstraße

1968 kutschierte Georg Scheidecker noch mit seiner 30 Jahre Liesl durch Musterstadt. Das gutmütige Zugpferd, das sich gerne streicheln und mit Zuckerstückchen verwöhnen ließ, wurde kurze Zeit später weggegeben. In der 1938 durch Kiesabbau entstandenen Paulusgrube – so benannt nach dem Anrainer Andreas Paulus – konnte bis in die 1970er Jahren eine Ziegenherde weiden. 

Selbst die Gemeinde hielt noch 1971 an einer alten Institution festhielt: Im Haushalt wurde ein Posten über 1.300 DM für den „Eber vom Dienst“, der bis zu 50 Deckungen im Jahr zustande brachte, eingeplant. Seine „Pflichten“ erfüllte der Gemeinde-Eber im Stall des Anwesens in der Nöscherstraße 9, der nach 2010 abgerissen wurde.
 

Paulusgrube
Blick von der Bahnhofstraße in die Paulusgrube, 1974